Pingpong zieht immer mehr Spieler an und bringt die Menschen in den Städten wieder an einen Tisch

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Von Martina Bortolani

Während man früher auf den nächtlichen Touren in die Clubs gestochen ist und einen dort Stimmen und wummernde Bässe eingelullt haben, hört man heute öfter noch ein weiteres ­Geräusch: «Klack, klack, klack».So tönt es, wenn Pingpong gespielt wird.
Das Spiel mit dem kleinen Bällchen hat sich vom biederen Volkssport zum angesagten Statement einer urbanen Generation gemausert. Urban Pingpong ist hip und wird in der
Aktienmühle in Basel, der Zürcher Bäckeranlage, an den Ufern des Bielersees und auch in den schicken Clubs in New York oder  London gespielt.
Pingpong. Und eben nicht: Tischtennis! Die Unterscheidung ist wichtig und Teil der Subkultur, denn Pingpong, so nennen es die Guerilla-Spieler, ist Rock ’n’ Roll, ein Lebensgefühl, das man unabhängig von Raum und Zeit zelebriert. Unverkrampft und mit hohem Spassfaktor: mittags in einem Park, nachmittags in einem Hinterhof, abends auf Hochhausdächern oder nachts in den Kellern der Electro-Clubs.
Der Unisex-Sport vereint Technik, Konzentration und Reaktionsfähigkeit. Die meisten machen rasch Fortschritte. Wer den Ball anschneiden oder gezielt schmettern kann, punktet bei den Zuschauern, die oft mit Drinks in der Hand um die Tische stehen und ihre Lokalmatadoren anfeuern. Aus sich herauskommen, Emotionen zeigen und unbeschwert sein sind Gefühle, nach denen sich die Menschen wieder sehnen, wenn sie ihre Schneckenhäuser zu Hause verlassen. Und plötzlich stehen die verkrampften Hipster dann hinter den Tischplatten und haben einfach mal wieder: Spass!
Pingpong macht die Menschen glücklich. Es bricht ganze Eisblöcke der sogenannten Coolness, die in den runtergekühlten Städten lange die Codes des Nachtlebens definiert hat. Ums Gewinnen geht es den Hobbyspielern zwar auch, aber die Spielfreude und das soziale Moment stehen im Vordergrund «Wenn ein Banker mit einem Randständigen spielt, ist der Klassenunterschied nur auf Spielebene relevant», sagt Dominique Rohr, 33, Mitinitiant von www.pingpongfreunde.ch und des Züri Open, einem Battle, der schon mehrere Jahre im Zürcher Kaufleuten stattfindet – nicht zufällig in einem Club, wo sonst getanzt und gefeiert wird.
In London hat letzten Oktober der Bounce-Club eröffnet. «Eat, Drink and Play», lautet das Motto des Lokals, das eine 40 Meter lange Bar beherbergt, ein Restaurant und einen Playground mit knapp zwanzig Tischen. Nur schon der visuelle Auftritt der Website sieht aus wie für ein
Modeshooting des Magazins «Dazed & Confused» gestylt. «Es war höchste Zeit, Pingpong zu entstauben und sexy zu machen», sagt Don Penzik, 37, der Besitzer des Bounce.
Wer je dort war, der merkt rasch, dass Penzik das mit der Sexiness ziemlich ernst gemeint hat und was für ein Zielpublikum hier angesprochen wird: Models, Kreative, Stars. Hier bucht das ehemalige Supermodel Elle MacPherson mit ihren Freundinnen einen Tisch, hier messen sich Kate Moss und ihr Ehemann im Match; mit dem Bounce hat die Londoner Schickeria eine neue Basis des Vergnügens gefunden.
Susan Sarandon, eine von Hollywoods «Old Stars» unter den Aktricen, hat sich vor ein paar Jahren in einen dreissig Jahre jüngeren Mann namens Jonathan Bricklin verliebt – einen leidenschaftlichen Pingpongspieler. Mit ihm zusammen hat Sarandon nach New York nun auch in Los Angeles einen Ableger der etablierten Clubkette Spin eröffnet. Im schicken Hotel The Standard muss man schon Wochen im Voraus einen Tisch reservieren.
Das Turnier in Biel will eine «gesellige Insel» sein
Etwas provinzieller, aber nicht minder engagiert sieht der 22-jährige Bieler Tobias Grimm sein Engagement. Er ist der Erfinder von www.pingpongturnier.ch. Im Schatten riesiger Linden spielen hier einmal im Jahr rund 70 Spielerinnen und Spieler ein Open-Air-Turnier. Angefangen hatte der sympathische Idealist vor 10 Jahren und mit 2 Tischen, heute sind es 13 Tische und ein Vielfaches an Teilnehmern.
Das Turnier findet auf einem beachtlichen Spielniveau statt, aber das Ambiente bleibt familiär und ungezwungen. Der älteste Teilnehmer war diesen Sommer 87, der jüngste 7 Jahre alt. «Das Pingpongturnier ist mehr als eine Veranstaltung», sagt Grimm. «Es hat sich zu einer geselligen Insel in der konsum- und gewinnorientierten Eventwelt entwickelt.» Das Material wie Tische, Schläger und Bälle wird von lokalen Sponsoren bereitgestellt. «Der Pingpongboom in den letzten Jahre ist enorm», sagt Dominique Rohr von Pingpongfreunde.ch. Als ehemaliger Snowboardcrack sitzt er beruflich als IT-Spezialist im Büro und verbringt viel seiner Freizeit an Pingpongtischen. Einer der Hauptgründe für die zunehmende Beliebtheit des Sports ist in Rohrs Augen die interaktive Plattform www.spood.me (siehe Box). Auf Spood.me («Fordere mich heraus!») messen sich Freizeitspieler in ihrer eigenen Amateurliga, Profispieler sind nicht zugelassen.  «Fast jeder kennt das Spiel aus seiner Kindheit», sagt Remo, der fast jeden Freitagabend im 25hours-Hotel in Zürich an den Funturnieren für jedermann spielt. Pingpong ruft positive Assoziationen ab und «dieses Déjà-vu-Erlebnis ist ein wichtiges Kriterium für die zunehmende Beliebtheit» von Pingpong, dem schnellsten Rückschlagsport der Welt. Der
schnellste wohl auch, was seine Popularität anbelangt.

Quelle: http://www.sonntagszeitung.ch/trend/artikel-detailseite/?newsid=260830